Presseerklärung
20.01.2012, Werner Schulten
Leistungsbeziehende, die sich gegen eine psychologische Untersuchung entscheiden, werden mit Leistungsentzug bestraft, obwohl die Teilnahme freiwillig ist. Dies geht aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Nachfrage der Bundestagsfraktion der LINKEN hervor. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales betreibt in seiner Antwort weiterhin Vernebelungstaktik. Zur Frage der Freiwilligkeit für die Teilnahme an einer psychologischen Begutachtung für Leistungsbeziehende nach dem Zweiten und Dritten Sozialgesetzbuch erklärt die Bundesregierung zum Einen, eine solche könne von den Betroffenen bereits im Beratungsgespräch abgelehnt werden. In diesem Fall würde kein Gutachten veranlasst und auch keine Einladung versandt. In der weiteren Ausführung wird jedoch erklärt, dass die leistungsberechtigte Person erst dann wieder Geldleistungen erhalten kann, wenn sie ihre Mitwirkung zur notwendigen Begutachtung nachgeholt hat. „Welch perfide Definition von Freiwilligkeit durch die Bundesregierung?“ fragt Werner Schulten, Mitglied des Parteivorstandes der LINKEN und Sprecher der Bundesarbeitsgemeinschaft Hartz IV der Partei.
Schulten weiter: „Die erste Erklärung erfolgt im Bestreben, nicht offen gegen das zentrale grundgesetzlich garantierte Menschenrecht der Selbstbestimmung zu verstoßen. Nimmt ein Betroffener die freie Wahl jedoch ernst und entscheidet sich gegen eine psychologische Begutachtung, so wird ihm automatisch das Existenzrecht entzogen. Dieser Umstand hebt faktisch die Freiwilligkeit wieder auf. Auf Nachfrage bei der Bundesagentur für Arbeit wurde die gleiche Taktik bei der Beantwortung angewandt. Hier heißt es sogar: ‚Selbstverständlich kann eine Kürzung des Arbeitslosengeldes II nicht eintreten, wenn aufgrund der Erklärung der Ablehnung im Beratungsgespräch kein Gutachten veranlasst wird und auch keine Einladung erfolgt; in diesem Fall werden ja auch keine Pflichten verletzt.’ So weit, so gut. Doch weiter erklärt die BA: ‚Klärung der Ablehnung bedeutet in diesem Zusammenhang allerdings, dass eine einvernehmliche Entscheidung getroffen wird. Hält die Vermittlungsfachkraft allerdings eine ärztliche Untersuchung für erforderlich, wird für den Leistungsberechtigten ein Untersuchungstermin bei dem Ärztlichen Dienst auch vereinbart.’ Natürlich mit der Folge des Leistungsentzugs. Welch ein Zynismus: Eine freiwillige Entscheidung wird zu einvernehmlicher Entscheidung umdefiniert und die Hoheit über diese Entscheidung obliegt der Vermittlungsfachkraft.
Analog würde diese Definition von Freiwilligkeit in einem anderen Fall bedeuten: Die Beteiligung an einem Kriegseinsatz ist freiwillig. Wer sich gegen den Einsatz entscheidet, wird mit Freiheitsentzug wegen Fahnenflucht bestraft.“
Antwort der Bundesregierung: http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/17/079/1707924.pdf