Der tödliche Befehl

Das Drama begann heute vor 5 Jahren

kunduz-film-110~_v-varxl_8f7df8 Kopievon Werner Schulten

Morgen jährt sich zum 5. Mal der wohl schlimmste Tag in der Geschichte der Bundeswehr. Beim Bombardieren einer Sandbank auf Befehl des zuständigen Kommandeurs der Bundeswehr, Oberst Klein, kamen nach NATO-Einschätzung 142 Menschen ums Leben. Fast alle waren Zivilisten. Männer, Frauen, Kinder und Greise. Das Drama begann heute vor 5 Jahren.

Am Nachmittag des 3. September 2009 wurden je ein mit Benzin und ein mit Diesel beladener ziviler Tanklaster nach einer Reifenpanne auf einer Fernstraße bei Aliabad etwa acht Kilometer vom Bundeswehr-Camp bei Kunduz entfernt durch Taliban entführt. Dabei wurde einer der beiden Fahrer getötet, der andere überlebte Gefangenschaft und Luftangriff. Die Laster entfernten sich zunächst auf der Straße aus der Gegend des deutschen Lagers. Beim Versuch den Fluss Kunduz überqueren, blieben diese in einer Furt manövrierunfähig liegen.

Das Bundeswehrfeldlager Kunduz wurde informiert, dass die Tanklaster aus dem Bereich des PRT Kunduz heraus in den Distrikt Chahar Darah verbracht werden sollten, wozu sie den Kunduz-Fluss hätten überqueren müssen. Sie befanden sich also nicht in Richtung des Feldlagers der Bundeswehr, sondern von ihr weg. Bereits diese Information hätte ausgereicht, nicht von einer unmittelbaren Gefahr für die Soldaten auszugehen, wie später der Bombenabwurf begründet wurde.

Der Kommandeur des PRT, Oberst Georg Klein forderte einen US-Bomber vom TypB-1B an, der mit Aufklärungsgerät ausgerüstet war. Wegen falscher Koordinatenangaben fand das Flugzeug die beiden Fahrzeuge erst gegen 0:15 Uhr des 4. September und übertrug dann seine Aufnahmen live an den Kommandostand der TF47.

Informanten vor Ort, berichteten, dass sich wohl einige Taliban-Führer an den Lastwagen aufhielten. Und hiermit begann wahrscheinlich die Verkettung von notwendigen Entscheidungen mit persönlichem Ehrgeiz.

Untersuchungsbericht des Deutschen Bundestages: Die beiden HUMINT-Operatoren, die Zeugen Oberfeldwebel F. und Hauptfeldwebel S. haben ausgesagt, dass sich an jenem Abend nach Auskunft des Informanten auch mehrere Taliban-Führer im Umfeld der Tanklastwagen befunden hätten. Dem Zeugen Hauptfeldwebel S. sei eine der genannten Personen „als der mutmaßliche Führer der Taliban-Gruppierung in dem Bereich“ bekannt gewesen. Der Zeuge M.M. hat bestätigt, dass der Informant von anwesenden Taliban-Führern gesprochen habe. Nach Aussage des Zeugen M.F. stand einer der Namen auf der JPEL-Liste.

Troops in Contact

Oberst Klein forderte Luftnahunterstützung an, die zunächst abgelehnt wurde. Dem Ansinnen wurde erst stattgegeben, als Oberst Klein erklärte, dass eine unmittelbare Bedrohung für die eigenen Soldaten bestand.

Untersuchungsbericht: Der JTAC forderte für das PRT Kunduz beim ASOC in Kabul erneut Luftnahunterstützung („close air support“) an. Das ASOC lehnte dieses Ansinnen ab und teilte mit, dass kurzfristige Luftnahunterstützung nur in dem Fall gewährt werden könne, wenn aufgrund der unmittelbaren Bedrohung („imminent threat“) erklärt werde, dass eigene Truppen Feindberührung (troops in contact (TIC)) hätten. Der JTAC gab diese Information an Oberst Klein weiter. Daraufhin befahl Oberst Klein dem JTAC, aufgrund einer unmittelbar bevorstehenden Gefahr“(„imminent threat“) das Vorliegen einer TIC-Situation zu erklären. Der Zeuge Hauptfeldwebel W. hat in seiner Vernehmung das Gespräch geschildert: „Irgendwann meldete der B-1B, dass er keinen Sprit mehr hätte und auch kein Tanker in der Nähe sei; er müsse gehen. Daraufhin erhielt ich von Oberst Klein den Auftrag, zu prüfen, ob wir noch weitere Luftfahrzeuge bekommen könnten. […]

Das ASOC sagte nein. Lediglich wenn eine TIC-Situation bestünde, wäre hier eine Möglichkeit, noch mal Luftfahrzeuge zu bekommen. Das meldete ich so dem Oberst Klein weiter. Der Oberst Klein überlegte eine Zeitlang und sagte dann irgendwann, ich solle einen TIC ‚declaren’. Auf meine Frage ‚Mit welcher Begründung?“ sagte der Oberst Klein: Aufgrund von einer unmittelbar bestehenden Gefahr.“Ein TIC ist ein aktueller Angriff oder ein bevorstehender Angriff. Ich schrieb in den JChat: Wir haben eine unmittelbare Gefahr; und aufgrund dieser Tatsache ‚declare’ ich einen TIC, nach Auftragerhalt von Oberst Klein.“

Dies war eine wissentlich falsche Information. Die Lastwagen steckten seit vielen Stunden rund 7 km vom Lager fest, waren in die andere Richtung unterwegs, und es befanden sich keine deutschen Soldaten in der Nähe.

Untersuchungsbericht: Auf die Frage, ob er Oberst Klein hinsichtlich des Vorliegens eines TIC beraten habe, hat der Zeuge (Anm.: Hauptfeldwebel W.) geantwortet:„Nein. […] Das obliegt der Einschätzung meines Kommandeurs oder des sogenannten On-scene-Commanders.“

So zweifelten auch die Piloten der eingesetzten F15 an der Richtigkeit dieser Angabe. Untersuchungsbericht: Die Flugzeugbesatzungen haben nach Auswertung der internen Kommunikation Bedenken gehabt, wo hier Feindberührung sein solle, da keine befreundeten Kräfte in der Nähe waren. Diese Bedenken wurden von Seiten der Flugzeugbesatzung jedoch nicht weiter verfolgt, nachdem der JTAC, Oberfeldwebel W. ihnen dargelegt hatte, dass eine akute Bedrohungslage bestehe.

Tiefflug abgelehnt

Aber auch zu diesem Zeitpunkt hätte die Katastrophe noch verhindert werden können. Bezeichnend für das Geschehen ist, dass nicht etwa Oberst Klein eine Aktion von den Piloten forderte, um die angeblich einzigen Ziele, die Lastwagen zu zerstören, ohne mögliche Zivilisten zu treffen, sondern von den Piloten selbst. Sie forderten mehrfach, im Tiefflug die Menschen von der Sandbank zu treiben. Dies wurde jedes Mal abgelehnt. Untersuchungsbericht: Ausweislich des Transkriptes über den bordinternen Funkverkehr der beiden F-15-Luftfahrzeuge bestanden bei den Luftfahrzeugbesatzungen Bedenken gegen einen Luftschlag. Zum Teil wurden intern Zweifel geäußert, ob die Regeln zur Anwendung militärischer Gewalt (ROE) in der vorliegenden Situation eine solche Aktion gestatten („I don‟t know how we‟d be able to drop anything on that as far as current ROE and stuff like that“)oder dass eine unmittelbar bevorstehende Bedrohung (imminent threat) vorliege („it‟s not an imminent threat“).

Diese Bedenken wurden aber nicht gegenüber dem JTAC geäußert. Allerdings fragte die Besatzung mehrfach beim Fliegerleitoffizier nach, ob es sich bei den Personen auf der Sandbank um feindliche Kräfte handele und ob sich eigene Kräfte in der Nähe aufhielten. Nachdem der JTAC die Luftfahrzeugbesatzungen über die Absicht des Kommandeurs des PRT Kunduz, die beiden Tanklastwagen zu vernichten, unterrichtete, fragten diese mehrmals nach, ob sie zuvor einen sogenannten „show of force“ durchführen sollen, einen tiefen Überflug über die Sandbank, mit dem Ziel, die dort befindlichen Menschen auseinanderzutreiben.

Oberst Klein lehnte dies nach Aussage des Zeugen Hauptfeldwebel W. ab: „Wie oft die Piloten das angeboten haben, kann ich Ihnen nicht sagen. Ich weiß, es war mehr als einmal. Ich habe das auch dem Oberst Klein genauso vorgetragen. Der Oberst dachte kurz darüber nach, wollte wissen, welche Folgen es haben kann, wenn ein ‚show of force„ geflogen wird. Ich erklärte ihm, wie ich mir die Situation vorstellen konnte, dass entweder gar nichts passiert–alle bleiben so da stehen, wie sie stehen–,oder Teile weichen aus, oder alle weichen aus. Das war das, was man eigentlich mit einem ‚show of force„ erreichen möchte. Der Oberst dachte, wie gesagt, auf dieser Option herum und entgegnete mir irgendwann, dass die Flieger mittlerweile schon sehr lange über diesem Gebiet kreisen und er einen ‚show of force‘ ablehne. Genau so habe ich das an die Piloten weitergegeben: dass es ein Negativ ist, kein ‚show of force‘.

Der Zeuge Hauptfeldwebel W. hat betont, dass er alle Informationen, die er von den Piloten erhielt, an Oberst Klein weitergegeben habe.

„Wir versuchen, die Personen auszuschalten“

Ausweislich des Funkverkehrs waren Ziele Oberst Kleins nicht die Lastwagen, sondern die anwesenden Menschen. Wobei Oberst Klein davon ausging, dass sich keine Zivilisten vor Ort befinden könnten.

Untersuchungsbericht: Der Umstand, dass sich das Geschehen auf der Sandbank nachts abspielte, bestärkte Oberst Klein nach eigener Aussage in der Annahme, dass sich am Abend des 3./4. September 2009 keine Zivilpersonen in der Nähe der Tanklastwagen befanden.

Von einem Kommandanten sollte man jedoch erwartet, dass er darüber informiert ist, dass zu diesem Zeitpunkt Ramadan war und sich das Leben der Gläubigen dann zu einem Teil nachts abspielte. Obwohl Oberst Klein vor dem Untersuchungsausschuss angab, das Ziel des Luftangriffs sei ausschließlich das Ausschalten der Tanklastwagen gewesen, ergibt der Funkverkehr mit den Piloten etwas Anderes:

Untersuchungsbericht: Den Piloten war zwischendurch unklar, was denn das genaue Ziel sein solle. Sie wiesen den JTAC darauf hin, dass sich weitere möglicherweise feindliche Ziele der Sandbank näherten und andere wegliefen. Ausweislich der Abschrift des Funkverkehrs zwischen dem JTAC und den Besatzungen der beiden F-15-Luftfahrzeuge antwortete Oberfeldwebel W. auf die ausdrückliche Frage der F-15-Piloten, ob die Fahrzeuge oder die Personen ausgeschaltet werden sollten: „F15: „[…]are you trying to take out the vehicles or are you trying to take out the pax? JTAC: we‟re trying to take out the pax‟

Der Einsatz diente eindeutig der Tötung von Personen. In dem Protokoll taucht die Frage auf: „Versucht ihr, die Lastwagen oder die Personen auszuschalten?“ Die Antwort lautet: „Wir versuchen die Personen auszuschalten.“

Weitere Berater abgelehnt

Oberst Klein unterließ es auch, weitere Berater hinzuzuziehen, um mehrere Entscheidungsoptionen zu diskutieren.

Untersuchungsausschuss: Die Entscheidung von Oberst Klein, auf die Hinzuziehung weiterer Berater zu verzichten, stieß in der nachträglichen Bewertung durch Zeugen auf Kritik:Der Zeuge Schneiderhan, zum damaligen Zeitpunkt Generalinspekteur der Bundeswehr, hat in seiner Vernehmung durch den Untersuchungsausschuss die Entscheidung, den Rechtsberater nicht hinzuzuziehen, als „unzweckmäßig“bewertet. Der Zeuge Generalleutnant Glatz hat erklärt, er hätte neben dem Rechtsberater auch den J3 als „Fachmann für die Anwendung von RoEs und SOPs“ hinzugezogen. Dabei hat er eingeräumt, dass „das eine ganz persönliche Entscheidung jedes militärischen Führers“ sei. Der Zeuge Oberstleutnant J.G., zum Zeitpunkt des Luftschlages Chef des Stabes des PRT Kunduz, empfand es gemäß seiner Aussage als „ungewöhnlich“, in der konkreten Entscheidungssituation nicht zu Rate gezogen worden zu sein.

Oberst Klein gab später auch an, dass es ihm darum ging, die Aufständischen zu treffen. Wahrscheinlich ging es ihm in erster Linie darum, bekannte Anführer zu töten. Diese Handlungsoption war jedoch nicht vom ISAF-Einsatz gedeckt und er war auch nicht berechtigt, aus diesem Grund einen Luftschlag anzufordern.

Untersuchungsbericht: Oberst Klein hat sowohl gegenüber dem Untersuchungsausschuss als auch gegenüber der Bundesanwaltschaft klar gestellt, sein Ziel sei es auch gewesen, die Aufständischen zu treffen und deren Anführer zu töten, wodurch den Aufständischen ein schwerer Schlag versetzt würde.

Das Landgericht Bonn hat eine Klage der Opfer des Luftangriffs im afghanischen Kunduz abgewiesen. Es liege keine „Amtspflichtverletzung“ vor, die die Bundesrepublik in dem Fall haftbar mache, heißt es in dem am 11. Dezember 2013 verkündeten Urteil.

Das Strafverfahren gegen Klein wurde von der Staatsanwaltschaft eingestellt. In dem als Geheimsache eingestuften Abschlussbericht entlastete die Behörde den Offizier von dem Vorwurf des Mordes an Zivilisten vor allem mit dem Argument, für ihn sei „angesichts der ihm bekannten Umstände“ und der Angaben eines Informanten „die Anwesenheit geschützter Zivilisten fernliegend“ gewesen. Daher hätte er die Menschen in der Umgebung der Tanklaster nicht warnen müssen.

Zwischenzeitlich wurde Klein zum Brigadegeneral befördert.

Link: Untersuchungsbericht des Deutschen Bundestages

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