Lieber richtig in die Opposition als schlecht in die Regierung!

Einstimmiger Beschluss der Basisorganisation Wedding vom 11.11.21

Das Sondierungspapier, das die Grundlage für die derzeit laufenden Koalitionsverhandlungen ist, trägt ersichtlich die Handschrift der SPD Franziska Giffeys und widerspricht zentralen Positionen der LINKEN. Franziska Giffey hat öffentlich erklärt, dass das Sondierungspapier die Grundlage der Verhandlungen ist. Und es in diesem zentralen Punkten keine Nachverhandlungen geben wird. Es ist nicht zu erwarten, dass in den Koalitionsverhandlungen Verbesserungen gegenüber der SPD und den Grünen durchgesetzt werden können. Bei einem Eintritt in die Regierungskoalition mit SPD und Grünen droht ein Ausverkauf der LINKEN und die Preisgabe sämtlicher rote Haltelinien, des Landeswahlprogramms der Berliner LINKEN „Rot. Radikal. Realistisch.“, beschlossen am 24. April 2021.

Die Ausgangslage einer künftigen Landesregierung ist schlechter als in der vorhergehenden Legislatur. Die Haushaltssituation, die nach der Wahl 2015 sehr günstig war, ist angespannt. Der finanzielle Spielraum für Reformen ist damit enger geworden. DIE LINKE darf sich nicht an einer Regierung beteiligen, die Personalabbau und Kürzungsprogramme vorantreibt. Ein Koalitionsvertrag, der Kürzungen und Personalabbau nicht explizit ausschließt, ist nicht zustimmungsfähig.

57,6 % der Berliner*innen haben für die Vergesellschaftung und den Volksentscheid „Deutsche Wohnen und Co. Enteignen“ gestimmt (amtliches Endergebnis). Dass das Sondierungspapier lediglich die Einsetzung einer so genannten Expert*innen-Kommission und eine einjährige Prüfung festlegt, ist eine Missachtung des Willens der Mehrheit der Berliner*innen und Angriff auf die basisdemokratische Volksentscheidspolitik. Die Expert*innenkommission ist unnötig, die legale Möglichkeit der Vergesellschaftung ist durch mindestens 7 Rechtsgutachten festgestellt, darunter einer Expertise des Innensenats Berlins und des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags. Es handelt sich hierbei um eine Verzögerungstaktik zur Demobilisierung der Bewegung. DIE LINKE darf das nicht mittragen.

Die S-Bahn-Ausschreibung, das 8-Milliarden-Projekt der grünen Verkehrssenatorin Regine Günther, mit der Privatisierung und Zerschlagung der Berliner S-Bahn drohen, wird mit keinem Wort erwähnt. Bereits in der Präambel unseres Wahlprogramms, sowie unseres Erfurter Programm vom 23. Oktober 2011, lehnen wir Privatisierung der Daseinsvorsorge klar ab. Die Behauptung von Carsten Schatz auf dem außerordentlichen Landesparteitag vom 19. Oktober 2021, man habe sich auf die Kommunalisierung geeinigt, wurde von den Grünen bereits dementiert. Kommunalisierung kann es nur mit dem Stopp der laufenden Ausschreibung geben. In den Jahren 2019 und 2020 hat die LINKE zwar gegen die von den Grünen durchgedrückten Fahrpreiserhöhungen im ÖPNV protestiert, verhindern konnte sie sie jedoch ebenfalls nicht. Die LINKE darf nicht länger neoliberale und unsoziale Verkehrspolitik mittragen.

Der Kampf gegen Rechts ist in einer Koalition mit der Giffey-SPD nicht konsequent zu führen. Trotz immer neuer Enthüllungen über rechtsextreme Umtriebe in der Berliner Polizei und massiver Proteste gegen Polizeigewalt einigte man sich im Sondierungspapier im Kapitel „Innere Sicherheit“ auf Aufstockungen bei der Polizei. DIE LINKE muss an ihrer Forderungen nach einem Untersuchungsausschuss zum Neuköllner Nazi-Terror festhalten.

Berlin ist Abschiebehauptstadt – und die LINKE hat das die letzten vier Jahre mitgetragen. In der letzten Legislaturperiode hat das Landesamt für Einwanderung Berlin den Anteil der Abschiebungen von 5,7% auf 6,1% gesteigert. Berlin hat als einziges Bundesland auch im Jahr 2020 genauso viele Abschiebungen wie im Vorjahr durchgeführt, während bundesweit die Abschiebungen während der Pandemie 2020 um mehr als die Hälfte zurückgegangen sind. Damit hat sich DIE LINKE unglaubwürdig gemacht. Der außerordentliche Parteitag sprach sich daher mit großer Mehrheit für einen Paradigmenwechsel und für Bleiberecht statt Abschiebungen aus. Im Sondierungspapier ist dazu nichts zu finden. Dass hier fundamentale Nachbesserungen stattfinden ist illusorisch: Franziska Giffey wollte noch im Juli nach Afghanistan und Syrien abschieben.

Die Krankenhausbewegung hat in den vergangenen Monaten sechs Wochen lang gestreikt, um gegen landeseigene Krankenhausträger eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen zu erreichen. Im Sonderungspapier wird die Situation der Beschäftigten an den Krankenhäusern gar nicht erst erwähnt. Stattdessen verpflichtet man sich zu guter Zusammenarbeit mit den privaten Krankenhausträgern und will „Berlin als führende Gesundheitsstadt“ weiterentwickeln und die „Gesundheitswirtschaft“ stärken. Gesundheit, so ist unsere feste Überzeugung, darf nicht dem Markt überlassen werden. Sie ist Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge. Wir wollen Gesundheitsinfrastruktur zurück in der Öffentlichen Hand und mehr als wolkige Versprechen zur Verbesserung der Situation und der Beschäftigten in der Pflege.

Es ist absehbar, dass sich DIE LINKE als Bündnispartner*innen der Mieter*innenbewegung, der Klimabewegung, der antirassistischen Bewegung und in Anti-Privatisierungskämpfen unglaubwürdig macht, wenn sie in eine Koalition mit SPD und Grünen eintritt und dafür sämtliche roten Haltelinien überschreitet. Eine LINKE in der Regierung muss die Position der Regierung, also auch der SPD und der Grünen, mitvertreten, um den Koalitionsfrieden zu wahren. So kann die LINKE keine glaubwürdige Bündnispolitik betreiben und wird immer wieder in Widerspruch zu den Bewegungen geraten. Das wirkt demobilisierend auf die Initiativen und Bewegungen in der Stadt. Auch für die Parteibasis hat eine Regierungsbeteiligung der LINKEN in einer Koalition mit SPD und Grünen drastische Auswirkungen: Anstatt als starke LINKE gemeinsam den gesellschaftlichen Widerstand aufzubauen ist man zunehmend in innerparteilichen Kämpfen involviert, der beständige Hinweis auf den Koalitionsfrieden wirkt auch innerparteilich demobilisierend. Als schwächste von drei Koalitionspartner*innen kann sie nicht hoffen sich gegen die anderen beiden mit linker Politik durchzusetzen.

Die BO Wedding spricht sich daher gegen den Eintritt der LINKEN in die Regierungskoalition auf dieser Grundlage aus. Wir wollen stattdessen an Seite der Bewegungen und Initiativen der Stadt eine kämpferische Opposition gegen den von Giffey angekündigten Rechtskurs bilden.