Moral und Grundeinkommen

Moral und Grundeinkommen

Würde und Nächstenliebe sind durch die Fixierung auf Erwerbsarbeit in Gefahr

von Thomas Kilian

Ein Hindernis bei der Einführung des bedingungslosen Grundeinkommens stellt die unzureichende Unterscheidung von Moral und Recht in der Bevölkerung dar. Bei empirischen Untersuchungen mit offenen Fragen ist z.b. fast überhaupt keine Trennung zwischen moralischer und juristischer Argumentation festzustellen. Gestern schien diese Unterscheidung auch noch eine Sache von feingeistigen Intellektuellen ohne politische Relevanz. Doch für die Argumentation rund um das bedingungslose Grundeinkommen erlangt es an Bedeutung, dass mit der Differenzierung von Recht und Moral Brüche in der Argumentation möglich werden, die in einer amalganisierten Argumentation zu logischen Widersprüchen führen würde. So ist es möglich, moralisch den Fleiß und die Selbstverwirklichung durch Arbeit hochzuhalten, aber juristisch für ein Recht auf Faulheit einzutreten.

Zunächst muss man sich eingestehen, dass das Grundeinkommen tatsächlich ein Recht auf Faulheit ist. Zwar wird immer wieder argumentiert, dass es Eigenarbeit von der Hausarbeit bis zum Ehrenamt oder eventuell auch selbstständige Tätigkeiten ermöglicht, aber die Emanzipation von der ausbeuterischen und entfremdeten Lohnarbeit ist nicht zu haben, wenn man den Leistungsbezug an an solche Aktivitäten koppelt, weil das dann verdeckte Lohnarbeit wäre. Stattdessen ist festzustellen, dass der Grundeinkommensbezieher sehr wohl das Recht hat, den ganzen Tag vorm Fernseher zu sitzen, Chips zu essen, Bier zu trinken und zu verfetten und zu verblöden. Das ist natürlich bei keinem Menschen, der noch einigermaßen bei Trost ist, die Vorstellung von einem guten oder gar moralisch wertvollen Leben.

 

Die marxistische Weisheit, dass das gute und moralisch wertvolle Leben in der Beteiligung an der gesellschaftlich notwendigen und zukunftsweisenden Arbeit besteht, ist heute nicht mehr allgemein anerkannt. Das hat damit zu tun, dass das moralisch Wertvolle in einen immer größeren Widerspruch zur gesellschaftlichen Anerkennung in der immer überwiegender akzeptierten Geldform geraten ist. Moralisch wertvolle Arbeit wie die von Eltern oder Ehrenamtlern werden zwar offiziell durchaus gewürdigt, weil auch die Autoritäten um ihren Wert wissen, aber im Alltag nicht in der gleichen Weise angesehen wie die Erwerbsarbeit.

 

Bild und Realitität des Hartz-IV-Coach-Potatoe sind Ausdruck der Grenzen juristischen Zwangs und einer moralischen Krise. Dass es solche Personen schon heute gibt, ohne ein Recht auf Faulheit durch ein bedingungsloses Grundeinkommen, zeigt, dass der juristische Zwang zu Bewerbungen, Qualifikationen und Maßnahmen nicht geeignet ist, solch unwürdiges Verhalten einzudämmen, der sich hinter der euphemistischen Formulierung vom Fordern und Fördern verbirgt. Gleichzeitig zeigt diese Passivität die momentane Schwäche einer aktivistischen Moral, wie sie das Abendland immer ausgezeichnet hat. Generell wäre eine geeignete Moral besser geeignet zum motivationalen Persönlichkeitskern vorzudringen als juristischer Zwang, der immer nur oberflächliches Verhalten motivieren kann.

 

Das Bild des Hartz-IV-Coach-Potetoes, wie es von den bürgerlichen Schichten gemalt wird, zeigt außerdem die moralische Verkommenheit der gehobenen Schichten. Denn die Hartz-IV-Empfänger entsprechen nur zu einem Bruchteil dem abwertenden Klischee. Viele verstehen sich als Künstler, dichten und malen, manche sind ehrenamtlich aktiv, viele Alleinerziehende sind darunter, Nachbarschaftshilfe und die Unterstützung von Freunden werden groß geschrieben, der Schrebergarten ausgebaut, vielleicht finden sich unter ihnen sogar die Weisen der heutigen Zeit. Dass diesen Menschen pauschal der vulgärste Materialismus unterstellt wird, verweist eher auf die Flachheit und Bösartigkeit der tonangebenden Schichten als auf die Langzeitarbeitslosen. Viele wissen sich sinnvoll zu beschäftigen. Ihre größten Probleme sind der Mangel an Geld und die Bevormundung durchs Jobcenter.

 

Gerade die bürgerlichen Schichten zeichnen sich durch eine extreme Orientierung auf die Erwerbsarbeit aus. Diese stammt nicht aus einer moralischen Argumentation, die die Überlegenheit von Erwerbsarbeit gegenüber Elternarbeit oder Eigenarbeit nicht rechtfertigen könnte, weil all diese Arbeiten für den Erhalt und die Entwicklung der Gesellschaft notwendig sind. Vielmehr stammt sie aus der schlichten Erfahrung, dass Erwerbsarbeit bezahlt wird und aus dem dunklen Materialismus, dass nur die Dinge etwas Wert seien, die Geld bringen. Es gibt zwei Ansätze, dieses Missverhältnis zu korrigieren. Das erste besteht darin, alle Tätigkeiten in Erwerbsarbeit zu verwandeln, was die Gesellschaft in ein vielleicht luxoriöses, vielleicht aber auch schäbiges Bordell verwandeln würde. Oder aber eine Emanzipation von der Erwerbsarbeit durch die Aufhebung des allgemeinen Arbeitszwanges durch das bedingungslose Grundeinkommen mit dem Risiko, dass es weiterhin eine Schicht gibt, die man „unwürdige Arme“ nennen könnte.

 

Beide Lösungen führen nicht zu egalitären Gesellschaften. Die Umwandlung jeder Arbeit in Erwerbsarbeit lässt den Kapitalismus unberührt und verstärkt neben dem Erbschaftsprinzip das Leistungsprinzip. Man muss an Augustinus denken, dass eine Gesellschaft mit einer so einseitigen Gerechtigkeit nicht besser wäre als eine Räuberbande. Vor allem müsste Augustinus entsetzen, dass eine solche Gesellschaft der unbedingten Gegenseitigkeit bar der Liebe wäre, die auch mal etwas tut, ohne nach der Gegenleistung zu fragen. Eine Gesellschaft, die den juristischen Arbeitszwang aufhebt, moralisch aber die Beteiligung an der gesellschaftlichen Arbeit – egal ob bezahlt oder unbezahlt – schätzt, bliebe eine nach Ansehen geschichtete Gesellschaft, nur dass der Zusammenhang zwischen Einkommen und Vermögen einerseits und Ansehen andererseits gelockert werden würde.

 

So hat man auch in einer solchen Gesellschaft mit Armen und Verachteten zu tun, die man bemitleiden mag und nicht so recht in der Lage sind, zu einer sinnvollen Selbstverwirklichung zu finden. Die Nächstenliebe legt es nahe, solchen Menschen zu helfen, vielleicht auch in Form von Sozialarbeit. Nur hat das seine Tücken, die man an der SPD-Vorstellung vom aktivierenden Sozialstaat sehen kann. Hier wird aus dem Angebot der Nächstenliebe, bei der Verwirklichung der eigenen Person zu helfen, der Zwang, sich aktivieren zu lassen. Eine Nächstenliebe, die sich aufdrängt und bevormundet, ist jedoch keine Liebe mehr. Wahre Liebe muss vielmehr damit leben können, dass sie zurückgewiesen wird. Deshalb verdient eine bevormundete Liebe diesen Namen nicht, sondern ist bestenfalls moralische Erpressung und gesellschaftlich organisiert unnötige Herrschaft.

 

Im Fall der sogenannten „Förderung“ von Langzeitarbeitslosen haben nur diejenigen einen Vorteil von dieser Perversion, die von der Ausbeutung in der Erwerbsarbeit profitieren. Vereinfacht gesagt sind das Arbeitgeber, die Lohnarbeit anwenden, deren Ertrag höher ist als die Kosten. Da auf den heutigen kapitalistischen Märkten eine gewisse Vermachtung herrscht, die durch assymetrische interdepenzen der Großindustrie Extraprofite zuführen, kann man auch überspitzt sagen, an der Perversion aufgedrängter Hilfe profitieren vor allem die Multis, weil sie Alternativen zur Lohnarbeit unterminiert, die das Grundeinkommen fördern könnte, wobei nicht nur an Eigenarbeit sondern auch an die Einzelselbstständigkeit zu denken ist.

 

Der Kern der abendländischen Moral ist Nächstenliebe und die Würde des Individuums, in deren Namen man ebenfalls leicht für Selbstverwirklichung durch Arbeit und gegen aufgezwungene Hilfe hätte argumentieren können. Diese Werte waren in der Geschichte des Abendlandes immer wieder in Gefahr und wurden nicht zuletzt durch die Kirche wiederholt verraten. Aber sie lugten auch immer wieder um die Ecke und beeinflussten die Geschichte. Der moralische Skandal des himmelschreienden Elends der Arbeiter im 19. Jahrhundert förderte auf vielen Ebenen den Übergang zu einer fordistischen Gesellschaft, die in ihrer Endphase im Westen sogar einen relativen Wohlstand für die Arbeiter brachte. Die moralische Argumentation hat zwar vor allem die Bürgerlichen motiviert, eine flankierende Sozialpolitik durchzuführen und die Gewerkschaften und Arbeiterparteien zu tolerieren, während sich die Arbeiter selbst eher aus schlichter Notwendigkeit organisierten, aber auf diesem Weg mag auch die abendländische Moral ihren Beitrag zum gesellschaftlichen Wandel beigetragen haben. Damals wurde die einfache Arbeit generell als wertlos gesehen, heute haben sich die Proportionen auf andere Weise verschoben. Die Achtung der Arbeit ist zugunsten der Erwerbsarbeit verzerrt, vor allem zugunsten der Arbeit in der Großorganisation. Damit wird Selbstverwirklichung und der Beitrag zum gesellschaftlichen Fortschritt systematisch unterbewertet. Statt Räume dafür zu schaffen werden für die Schwächsten bevormundende Hilfe organisiert, was die Erwerbsarbeitsfixierung befestigt. Das bedingungslose Grundeinkommen könnte dazu beitragen, diese moralische Krise zu mildern und wieder mehr echte Nächstenliebe und Menschenwürde zu etablieren.

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