Kritik an der Rechtsverordnung KdU des Berliner Senats

von Werner Schulten

Die neu ermittelten Mietobergrenzen werden den Anforderungen der Angemessenheit nicht gerecht.

Der Begriff der „Angemessenheit“ unterliegt als unbestimmter Rechtsbegriff der uneingeschränkten richterlichen Kontrolle (BSG Urteil vom 7. 11. 2006 – B 7b AS 10/06 RBSGE 97, 231 = SozR 4-4200 § 22 Nr 3; BSG Urteil vom 17. 12. 2009 – B 4 AS 27/09 RSozR 4-4200 § 22 Nr 27 [Essen] RdNr 21; BSG Urteil vom 19. 10. 2010 – B 14 AS 50/10 R – SozR 4-4200 § 22 Nr 42 [Berlin] RdNr 20)

Somit ist zu erwarten, dass auch weiterhin die Sozialgerichte mit Klagen überhäuft werden.

Hauptkritikpunkte sind im Einzelnen:

 

1.         Beschränkung bei der Ermittlung der Werte auf einfache Wohnlagen und einfachen Standard

In den Ausführungen der RVO heißt es:

„Durch den Rückgriff auf den qualifizierten Mietspiegel und durch die erfolgte Gewichtung kann im Einklang mit der Rechtsprechung des BSG davon ausgegangen werden, dass es in ausreichendem Maße Wohnungen zu der abstrakt angemessenen Leistung für die Unterkunft auf dem Wohnungsmarkt gibt (BSG vom 13. April 2011 – B 14 AS 106/10 R -). Damit berücksichtigt das Berliner Konzept, wie nach § 22a Absatz 3 SGB II gefordert, die Auswirkungen auf den Wohnungsmarkt, insbesondere hinsichtlich der Verfügbarkeit von Wohnraum des einfachen Standards und der Schaffung und Erhaltung sozial ausgeglichener Bewohnerstrukturen.“

Die Schlussfolgerung der Verfügbarkeit geht jedoch entgegen der Behauptung aus der zitierten Entscheidung nicht hervor. Dort wird lediglich ausgeführt, dass als Berechnungsgrundlage von ausreichend vorhandenen Wohnungen ausgegangen werden kann.

„Liegt ein qualifizierter Mietspiegel, der in einem wissenschaftlich gesicherten Verfahren aufgestellt wurde, der Bestimmung des angemessenen Quadratmeterpreises für die Kaltmiete zugrunde und wird entweder der Durchschnittswert dieses Mietspiegels angewandt oder können dem Mietspiegel Aussagen zur Häufigkeit von Wohnungen mit dem angemessenen Quadratmeterpreis entnommen werden, kann davon ausgegangen werden, dass es in ausreichendem Maße Wohnungen zu diesem abstrakt angemessenen Quadratmeterpreis im örtlichen Vergleichsraum gibt.“

Über die Verfügbarkeit der  entsprechenden Wohnungen sagt der Umstand des Vorhandenseins derselben jedoch nichts aus.

 

Aus dem Urteil des BSG vom 20. 12. 2011 – B 4 AS 19/11 R

„Es kann nicht ohne weitere Ermittlungen davon ausgegangen werden, dass unter Heranziehung gerade nur des rechnerischen Durchschnittswerts aus den untersten Spannenwerten der Wohnungen in normaler Wohnlage der Baualtersklassen I bis IV im gesamten Vergleichsraum angemessener Wohnraum einfachen Standards in ausreichendem Maße vorhanden ist.“

Und weiter:

„Da die angemessene Referenzmiete bereits bei der Ermittlung der abstrakt angemessenen Kosten so festzulegen ist, dass es dem Leistungsberechtigten grundsätzlich möglich ist, im gesamten räumlichen Vergleichsraum eine angemessene Wohnung anzumieten…“

Genau dies ist aber bei Wohnungen ausschließlich in einfachen Wohnlagen nicht möglich, von einfachem Stand gar nicht zu reden. In Berlin gibt es insgesamt in einfachen Wohnlagen in allen Standards nur 470.000 Wohnungen (mit einfachem Standard 75.000). Diesen Markt teilen sich die 399.600 Bedarfsgemeinschaften (Stand Oktober 2010) jedoch mit schätzungsweise über 500.000 weiteren Haushalten, die über nur geringes Einkommen verfügen. Zudem sind hierbei die Mehrzahl Wohnungen nicht erfasst, in denen derzeit die meisten Bedarfsgemeinschaften wohnen. Mittlere Wohnlage laut Berliner Mietspiegel 2011: In Gebieten des inneren Stadtbereichs mit überwiegend geschlossener, stark verdichteter Bebauung mit normalem Straßenbild (nicht von Gebäudeschäden geprägt), gutem Gebäudezustand (z.B. sanierte Wohngebiete, Neubaugebiete), mit wenigen Grün- und Frei­flächen.

 

2.         Kalte Betriebskosten

 

Aus der RVO:

„Grundlage hierfür bildet die jeweils mit dem Berliner Mietspiegel veröffentlichte Betriebskostenübersicht. Um die konkreten Berliner Verhältnisse abzubilden, werden die im Mietspiegelanhang veröffentlichten Durchschnittswerte der in Berlin im Erhebungszeitraum tatsächlich abgerechneten Betriebskosten zu Grunde gelegt.“

 

Aufgrund nicht ausreichender Datenerhebung können diese Durchschnittswerte jedoch nicht zu Grunde gelegt werden. Zudem ist die Berechnungsgrundlage bereits drei Jahre alt und berücksichtigt keine seitdem erfolgten Preissteigerungen. Wie wenig realitätsnah die im Mietspiegel 2011 ausgewiesenen kalten Betriebskosten sind, zeigt der Vergleich mit den Zahlen des Mietspiegels 2009. In diesem (Datenerhebung 2007) betrugen sie im Durchschnitt 2,01 Euro/m² – im Mietspiegel 2011 (Datenerhebung 2009) jedoch angeblich nur noch 1,44 Euro/m². Die angebliche Senkung der kalten Betriebsnebenkosten liegt bei über 28 %. Wie unrealistisch dies ist, zeigt sich an der Berücksichtigung der Wasserkosten. Betrugen diese 2007 durchschnittlich noch 0,64 Euro/m², so werden jetzt aufgrund der Ergebnisse 2009 nur noch 0,54 Euro/m² angesetzt. Jeder weiß aber, dass die Wasserpreise in Berlin gestiegen und nicht gesunken sind. Müllbeseitigung, Straßenreinigung und Beleuchtung (Allgemeinstrom) sind angeblich billiger geworden. Bei der Schneebeseitigung sind die Kosten ebenso wie bei den sonstigen kalten Betriebskosten angeblich um 50 % gesunken. Bei solch offensichtlicher Fehlerhaftigkeit der Ergebnisse der Stichproben hätte zumindest der Wert aus 2007 übernommen werden müssen. Selbst ohne eine notwendigen Preisanpassung würden hierdurch die Mietobergrenzen für einen Singlehaushalt um 28,50 Euro/Monat steigen Richtiger wäre jedoch, nur Nettokaltmieten zu berücksichtigen und die Nebenkosten in tatsächlicher Höhe anzuerkennen, wie es beispielsweise der Kreis Olpe in seiner Satzung festgelegt hat:

 

„2.3 Angemessenheit von Nebenkosten

Die Nebenkosten werden in tatsächlicher Höhe anerkannt, wenn die Wohnungs- und die Grundstücksgröße gem. den Ziff. 2.3.1 und 2.3.2 angemessen ist. Im Übrigen ist entsprechend den Ziffern 1.2 und 1.2.2 zu verfahren.“

 

3.         Heizkosten

 

Die pauschalierten Heizkosten berücksichtigen nicht den energetischen Bauzustand der einzelnen Gebäude, so dass Heizkosten in tatsächlicher Höhe zu zahlen wären. Bei Überschreiten der als angemessen ausgewiesenen Durchschnittswerte der Tabelle müsste in einer Einzelfallprüfung der unwirtschaftliche Umgang nachgewiesen werden.

Auch an dieser Stelle ein Beispiel aus der Satzung des Kreises Olpe:

„Bei Überschreitung dieses Wertes ist eine Einzelfallbetrachtung anzustellen, in der insbesondere der bauliche Zustand der Unterkunft und die Wärmedämmung zu berücksichtigen sind.“

RVO-KdU-1

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