Stellungnahme der BO Wedding zu 75 Jahren Nakba und dem Demonstrationsverboten 2022 in Berlin

Am 15. Mai des vergangenen Jahres wurden alle angemeldeten Veranstaltungen zum Gedenken an die „Nakba“, arabisch für „Katastrophe“, die im kollektiven Gedenken der arabischen bzw. palästinensischen Communities die Vertreibung der arabischen Bevölkerung nach dem Palästina-Krieg durch den neugegründeten Staat Israel bezeichnet, kurzfristig verboten. Das Verbot im letzten Jahr erstreckte sich auf Versammlungen mit mehr als zwei Personen und betraf Kundgebungen, Demonstrationen und Mahnwachen, die von deutsch-palästinensischen Aktivist*innengruppen und Organisationen von linken Israelis und Jüd*innen angemeldet wurden. Auch Demonstrationen unserer Genoss*innen der LINKEN aus Neukölln wurden verboten.

Aktionen, die sich gegen das Verbot richteten, wurden von der Berliner Polizei gewaltsam aufgelöst. Aktivist*innen, die sich gegen diesen offensichtlichen Bruch des Grundrechts auf Demonstrationsfreiheit zur Wehr setzten, wurden mit hohen Geldstrafen belangt und teilweise gerichtlich verurteilt. Begründet wurden die Verbote damit, dass es ausgehend von der angeblichen „Emotionalität“ der Palästinenser*innen zu „volksverhetzenden, antisemitischen Rufen, Gewaltverherrlichung und Gewalttätigkeiten“ kommen könne (https://taz.de/Nach-Verbot-von-Pro-Palaestina-Demos/!5852524/). Palästinensische, aber auch jüdische Aktivst*innen und ihre Unterstützer*innen wurden unter Generalverdacht gestellt und die Möglichkeit zur freien Meinungsäußerung wurde ihnen genommen. Polizei und Justiz in Berlin brechen systematisch das Grundgesetz, in dem sie die Demonstrationsfreiheit als eine Ausprägung der Versammlungsfreiheit (Art. 8 GG) und der Meinungsfreiheit (Art. 5 GG) unterminieren. Als BO Wedding verurteilen wir diese Eingriffe und die selektive Repression gegen Palästinenser*innen und linke Organisationen von Jüd*innen scharf.

In diesem Jahr jährt sich die Vertreibungen im Zuge des Palästinakriegs zum 75. Mal. Wieder soll es am 15. Mai ein Gedenken geben und wieder stehen Verbote im Raum. Zwei Palästina-solidarische Demonstrationen wurden dieses Wochenende bereits von der Polizei verboten. Wieder musste als Begründung herhalten, dass laut der Berliner Polizei die „unmittelbare Gefahr besteht“, dass es bei den Demonstrationen zu volksverhetzenden und antisemitischen Parolen, Gewaltausbrüchen und Gewaltverherrlichung komme. Wir lehnen Antisemitismus ab. Äußerungen einzelner Teilnehmer*innen, die zu verurteilen sind, rechtfertigen jedoch keine pauschalen Demoverbote. Die Unterstellung von Antisemitismus, die vor allem gegen Migrantisierten mit vermeintlicher Herkunft aus islamisch geprägten Ländern vorgebracht wird, ist im Wesentlichen ein rassistisches Vorurteil. Während Neonazis und Corona-Leugner*innen ihren Verschwörungsideologischen antisemitischen Wahn öffentlich zelebrieren dürfen und durften, wurden und werden Proteste von Migrantisierten von Staat und Polizei unterdrückt. Die Polizei hat viele weitere Möglichkeiten antisemitische Äußerungen zu unterbinden. Die massive Einschränkung der Versammlungsfreiheit in Form von pauschalen Demoverboten lehnen wir ab. Sie ist auch ein Türöffner für weitere Demoverbote.

Wir erklären uns kritisch solidarisch mit der Kampagne #Nakba75. Wir vertrauen darauf und erwarten, dass die Organisator*innen Demo „Meinungsfreiheit ist ein Menschenrecht! Nein zum Demonstrationsverbot“ (https://www.nakba-ban.org/de/) Antisemitismus keinen Raum geben werden und, so wie sie es angekündigt haben, entsprechende Äußerungen auf ihrer Demonstration unterbinden werden. Kritik an staatlichem Handelns Israels ist legitim und angesichts der aktuellen, und auch vergangener Entwicklungen notwendig. Palästinenser*innen haben, wie alle Unterdrückten, das Recht auf kollektives Gedenken an das Unrecht, das ihnen widerfahren ist und auf Widerstand gegen das bis heute gegen sie verübte Unrecht durch eine immer weiter nach rechts rückende israelische Regierung.